Not so blue
Eigentlich sind es die blau angestrichenen Häuser, derentwegen Jodhpur als die „Blaue Stadt“ bezeichnet wird. Ursprünglich soll der Brauch des Häuser-blau-Anmalens auf die Kastenzugehörigkeit zu den Brahmanen zurückgehen, heutzutage streicht fast jeder sein Haus blau an, und man hört immer wieder, dass das Blau eine hervorragende Moskitoabwehr sei …
… was vielleicht eher mit den in der Farbe enthaltenen Giftstoffen zu hat als mit einer Blau-Aversion der Moskitos.
In Jodhpur geht’s natürlich zu wie in jeder indischen Stadt die die Schwelle von, sagmermal: zehntausend Einwohnern überschritten hat, und Jodhpur hat deren hundertmal so viele. Trotzdem fand ich’s dort irgendwie aufgeräumt.
Wenn man alleine reist, hat das ja den ungeheuren Vorteil, dass man nicht den Launen des/der Mitreisenden ausgesetzt ist (und glaub mir, in Indien hat jede/r Mitreisende Launen). Dafür ist man den eigenen Befindlichkeiten umso ungeschützter ausgesetzt. So viel kann man gar nicht kiffen, dass eine wie auch immer geartete Befindlichkeit weggeht (vor allem wenn einem das Kiffen eh bloß immer die Befindlichkeiten unterstreicht …).
Kann man also einer unschuldig wuselnden Stadt wie Jodhpur die alleinige Verantwortung dafür zuschustern, dass sie aufgeräumt rüberkommt, oder muss man da tiefer graben?
Man muss, man muss.
Und so kann ich endlich zu der Geschichte kommen, die ich eigentlich erzählen will:
Los ging es am Vortag in Jaisalmer, bzw. kurz hinter Jaisalmer an einer Tankstelle, an der ich meinen Tank vollgemacht hab für die annähernd 300 einsamen Kilometer durch’s wilde Rajasthan.
Ich fuhr grad wieder auf die Straße raus, als eine weitere Enfield in die Tankstelle einbog, mit einer jungen Frau als Fahrerin. Da sie nur einen kleinen Rucksack als (Tages?)Gepäck hatte und keinen Helm auf, sondern nur ein indisches Tuch in Piratenmanier um den Kopf geschlungen, nahm ich an, dass sie auf einem Tagesausflug um Jaisalmer herum unterwegs war, und sich das Bike wahrscheinlich dort gemietet hatte. Ich entschloß mich, nicht wieder auf die Tankstelle zurückzufahren um einen kleinen Smalltalk zu halten, sondern weiterhin meinem Tagwerk nachzugehen, remember: lieber früh ankommen als in der Dunkelheit.
Außerdem hatte ich mich gerade wieder in die Montur gezwängt, Lederhose, Lederjacke und Helm, wahrscheinlich auch die Handschuhe an, da fängt man sofort an zu schwitzen, auch wenn man nur kurz mal anhält.
Ein paar Kilometer weiter, ich hatte die bebaute Gegend hinter mir gelassen und fuhr mit meiner Reisegeschwindigkeit von 60Km/h über die relativ unbefahrene Landstraße, sah ich im Rückspiegel etwas auftauchen, was sich schnell als die Enfield-Fahrerin von vorher herausstellte, und noch schneller hatte sie mich überholt, mit einem kurzem Handgruß und dem etwas ausgiebigeren Winken ihres Kopftuchs im Fahrtwind, das mich zugegebenermaßen schon ein wenig irritierte.
Kurz drehte ich den Gasgriff und bescheunigte auf 65 Sachen, aber ich hatte ja schon zu oft einen Blick in die Eingeweide der Enfield werfen müssen, als dass ich nicht gewußt hätte, dass alles, was über 70Km/h hinausgeht, oder länger als drei Minuten über 60Km/h, echt nicht zum Wohlbefinden der Enfield beiträgt, und dass die Wahrscheinlichkeit, dabei irgendwas kaputt zu machen, exponentiell steigt. Also Gas zurück, tief Luft holen um das einströmende Weichei-Gefühl wegzuatmen.
Sie fuhr bestimmt mit 80 Sachen oder mehr, aber selbst wenn ich aufgedreht und die Enfield das mitgemacht hätte, wie peinlich wär das denn gewesen, sie zu überholen … definitiv nicht witzig, nicht wie die berühmte Fahrrad-Szene bei Don Camillo und Peppone.
Ein paar Tage oder Wochen später sollten Scott und Manda, das engliche Päärchen, das ich in Mt. Abu, Bhuj, Rajkot und Diu immer wieder traf, mich bestätigen, indem sie mir verrieten, ich sei nicht „typisch deutsch“. Was das bedeute, wollte ich wissen. „Germans are so competitive – you’re not“.
EinsA Kompliment, das.
Zurück nach Jodhpur, wo ihre Enfield, die ich an neongelben Gepäckträgergurten erkenne, vor dem Hotel steht, das auch ich mir ausgesucht hatte. Ich stelle meine Enfield daneben und dann fest, dass ihr Motor schon wieder kalt ist.
Im Hotel gibt’s kein freies Zimmer, nur Schlafsaalbetten. Ich hasse Schlafsäle und will weiterziehen, aber mir wird ein Zimmer für 21Uhr versprochen, dann soll jemand ausgecheckt haben.
Zuerst bin ich ein wenig in der Stadt unterwegs, dann gehe ich wieder ins Hotel, Abendessen, und dann lege ich mich ein bisschen zum Lesen in ein Schlafsaalbett, weil mein Zimmer noch nicht frei ist.
In comes the Enfield woman.
Sie ist Britin, in Japan aufgewachsen und seit Monaten unterwegs, China, Pakistan und jetzt Indien. Ich erwähne, dass ich sie mutig finde, lasse aber ein bisschen offen, ob ich das uneingeschränkt gut finde. Ohne Helm über Indiens Chaos-Straßen? Nix für mich. Zwar fahre ich beim Sightseeing in den Städten auch oft ohne Helm, aber dabei kommt man selten auf mehr als 30-40 Sachen. Überland? Never!
Wir plaudern ein bisschen Moped, sie hat die Enfield erst seit 2 Wochen und ist schon viel rumgekommen (dass sie’s eilig hat, hatte ich ja schon bemerkt), und ich erzähl ihr von meinem Kolbenschaden, den ich mir wohl im Himalaja zugezogen hatte und der dann in Chandigarh für sagenhafte 38 Mark repariert worden war, davon, dass ich dann 20km weiter mit einem kaputten Kondensator mitten in der Pampa liegen geblieben bin …
… bis mir dann das versprochene Zimmer zugewiesen wird.
Sie bleibt im Schlafsaal.
Tough Girl.
Am nächsten Tag treff ich sie auf dem Weg zum Meherangarh Fort – ohne Motorrad. Ich nehm sie auf dem Sozius mit und sie erzählt mir, dass ihre Enfield nicht mehr angesprungen sei und deshalb in der Werkstatt steht: Kolbenschaden. Wir witzeln ein bisschen darüber, dass den Enfield-Wallahs ruhig mal was anderes einfallen könnte als „Kolbenschaden“, um an unsere Kohle zu kommen.
Es ist angenehm, mit ihr zu plaudern, sie ist überhaupt nicht competitive, obwohl sie mich „versägt“ hat. Sie zieht einfach ihr Ding durch.
Mein Ding ist dann halt mit Helm und Lederklamotte, wenn’s über Land geht.
Und höchstens 60km/h.
Dass ihre Panne meine Fahrweise indirekt bestätigt hat, macht mich schon ein bisschen froh. Auf den folgenden 8000km werd ich mir das noch ab und zu in den Arbeitsspeicher laden.
Ich bin mit niemandem im Wettbewerb. Nicht auf der Straße, und nicht nach dem Ankommen. Auch nicht beim Fotografieren, dort nicht mal mit mir selber, weil ich ja erst nach Monaten, wenn alles vorbei ist, die Fotos begutachten kann.
In Jodhpur hab ich stellenweise mit einem hochempfindlichen 3200 ASA Low-Budget-Dia-Film fotografiert. Grobkörnig, komischer Kontrast, komische Farben, die Schatten laufen komplett zu, aber manno, was für eine Atmosphäre!
Hab ich schon mal erwähnt, dass stellenweise tatsächlich das Ziel das Ziel ist? Nicht die tausend anderen oder die tausendmal besseren Möglichkeiten? Das Ankommen, das Dort-Sein?
In der Rückschau das Dort-gewesen-Sein und das die Jahre überdauernde Gefühl für und in den Fotos?