Sandsturm unter dem Meeresspiegel

Sandsturm unter dem Meeresspiegel

Hört sich komisch an, ist es aber nicht. Turfan (Tulufan, Turpan) bzw. die Turfan-Senke liegt 150m unterhalb Normalnull. Und zwar mittenmang in China, in der „Autonomen Region“ Xinjiang … (als wär in China irgendwas autonom gewesen…)

An den Sandsturm selbst kann ich mich überhaupt nicht mehr erinnern, aber an den Spaziergang danach. Allüberall war da dieses gelblich diffuse Licht.

Turfan ist ja nicht nur eine kleine idyllische Oase in der Wüste Schießmichtot, sondern auch eine, naja, ich sag’s mal: eine ziemlich hässliche Großstadt, Betonklötze und so. Es gab schöne Ecken (romantische, idyllische, beschauliche), aber drumherum halt ganz viel China. Ich weiß jetzt nicht wie das bei unseren Stadtplanern so war, aber in China wurde mit Sicheheit kein einziger Gedanke an sowas wie Schönheit verschwendet. Ich sach nur: Kulturrevolution.

Unser Plan war ja eigentlich, so wenig wie möglich mit China in zu Berührung kommen. Damit ist jetzt nicht das Land als solches gemeint, sondern eher die Atmosphäre. Zu jenen Zeiten (’87) war China schlicht und ergreifend: restriktiv. Und zwar in jeder Hinsicht.

Hm, stimmt jetzt auch nicht so ganz, sonst hätten wir ja gar nicht erst einreisen dürfen. Aber ich sag’s mal so: offiziell hatte man in China keinerlei Interesse an (am) Fremden, das ganze Land war, bis auf ein paar mehr oder (eher) weniger frei zugängliche Flecken total vernagelt (was sich seeeehr in den Köpfen widergespiegelt hat). Aber langsam wurde die Regierung geil auf Devisen, und einen schönen Teil davon sollten Touristen ins Land spülen. Hochklassige Touristen, die, für sagmermal zwei Wochen Rundreise, ohne mit der Wimper zu zucken 10.000 Mark auf den Tisch gelegt haben. Wenn ich hingegen mal unsere Reise- und Verpflegungskosten als Grundlage nehme, diese hochrechne um den Faktor „Luxus“ (haha, Luxushotels im China der 80er … das kann man sich vorstellen wie, sagmermal, einen Trabbi Deluxe), dann würd ich mal sagen dass die Chinesen nach Abzug der Unkosten über 90% Reingewinn eingefahren haben.

Aber wenn man das Land für Pauschaltouristen öffnet, dann kann man schwer verhindern, dass auch die einen oder anderen Individualreisenden durchwitschen. Man kann es ihnen höchstens noch zusätzlich erschweren, indem man für den Großteil der „erlaubten“ Orte dann doch noch „Permits“ erwerben muss … ich sach nur „Papierkram in totalitären Regimen“.

Viele wissen es gar nicht oder haben’s vergessen, dass es zu der Zeit zwei unterschiedliche Währungen in China gab: Renminbi und FEC (Foreign Exchange Certificate). Touristen wurden gezwungen, die überteuerten FECs einzutauschen, was natürlich die ganze Reise verteuert hat, bzw. verteuert hätte, hätte man nicht auf dem Schwarzmarkt Dollars direkt in Renminbi umgetauscht, oder, noch beliebter, seine offiziell erworbenen FECs auf dem Schwarzmarkt in Renminbis eingetauscht.
Klingt kompliziert?
Einerseits gab es extra Läden, in denen es „Luxusgüter“ zu kaufen gab, an die man auf dem „freien“ Markt nicht so recht rankam (z.B. Feuerzeuge der französischen Luxusmarke BiC). Ich lach mich heute noch schlapp darüber wie die Läden hießen: Friendship Store. Und in diesen Stores musste man mit FEC bezahlen, auch der normale Chinese. Und weil der normale Chinese offiziell, also z.B. auf der Bank, diese FECs gar nicht bekommen konnte, war er richtig scharf auf unsere.
Andererseits konnten wir mit unseren offiziellen FECs oft nicht wirklich was anfangen, weil viele Chinesen dieses Geld gar nicht kannten und sich weigerten, es anzunehmen … also z.B. wenn man in einer Garküche bezahlen wollte.
Es war kompliziert, aber man hat sich schnell dran gewöhnt. Und dann war’s nur noch ein Indiz dafür, dass die chinesische Regierung weder die individuellen Reisenden noch die individuellen Einwohner gut findet.

Und individuelle Einwohner gab’s natürlich überall. Zu sehen bekommen haben wir sie hauptsächlich in Tibet (sorry, „Autonome Region Tibet“, haha, siehe oben) und in den nordwestlichen Provinzen, wo (erstere) Tibeter und (zweitere) Uiguren zuhause sind.
Man konnte sie sofort erkennen, auf Anhieb und unweigerlich, nach einem simplen Ausschlussverfahren: wer keinen Mao-Anzug anhatte, gab sich als Mitglied einer Minderheit zu erkennen. Wollte offensichtlich nicht im blau/grünen Meer der Einheitsklamotte untergehen.
Nicht alle, die „ethnische“ Kleidung trugen, waren cool, und nicht alle, die den Mao-Anzug anhatte, waren uncool, aber man hatte schon eine ungefähre Hausnummer. (Sagt der Rassist in mir, der durch sein Coming Out hofft, selbst auch nicht ganz so uncool dazustehen).

So, und dann sind wir also bei den Uiguren in Turfan, kleine Inselchen der romantischen, idyllischen, beschaulichen Individualität verstreut zwischen Gebäuden und Stadtteilen, die auf architektonischer Ebene exakt der blau/grünen Einheitsklamotte zu entsprechen versuchen, und dann blendet dieses gelblich diffuse Licht die konforme Hässlichkeit des Hintergrunds so komplett aus, dass es fast schon magisch scheint. Ein kleines, feines, fast schon reines Stückchen Seidenstraße, zumindest so, wie ich mir das immer vorgestellt hatte.

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